Zentralasien

Bischkek – Hauptstadt Kirgisistans mit einer Portion Sowjetflair

Wie im letzten Beitrag beschrieben, ist die einzige Metropole Kirgisistans umgeben von Gebirgen, so dass man in gut einer halben Autostunde von 800m schon auf über 2000m Höhe  in den Bergen ist. Das bedeutet dann im Sommer gern einen Temperaturunterschied von gut 10 Grad, wir hatten stickige 35 Grad in Bischek und im nahe gelegenen Ala-Artscha-Nationalpark gut erträgliche 25 Grad.
Die Stadt hat etwa eine Million Einwohner und wirkt trotz ihres Metropolencharakters irgendwie übersichtlich und ein bisschen beschaulich. Viele Parks und ein mit Gletscherwasser gespeistes Kanalsystem durchziehen die Stadt, so dass man der Hitze immer mal wieder im Schatten und durch angenehme Luftfeuchtigkeit entfliehen kann. Wie allgemeinhin in Kirgisistan sind auch in Bischkek die sowjetischen Wurzeln weniger beseitigt als in anderen zentralasiatischen Großstädten. Das ist keineswegs zum Schaden, denn die Stadt wirkt dadurch trotz Konsum und Kommerz authentischer und ehrlicher, auch weil es nicht so viele neue Protzbauten gibt. So ist es nicht verwunderlich, dass sie noch über eine riesige Lenin-Statue im Zentrum verfügt. Die Statue befindet sich zwar nicht mehr an der Frontseite des zentralen Ala Too-Platzes sondern 200m dahinter, auf der Rückseite des Nationalmuseums, aber definitiv weiterhin im Herzen der Stadt. Auf der Vorderseite befindet sich nunmehr eine riesige Statue des kirgisischen Vokshelden Manas, der mit seinen über 500.000 Versen (eine Art Sprechgesang) nicht nur ein umfassendes Vermächtnis kirgisischer Literatur geschaffen hat. Er wird durch die ihm zugeschriebene Bedeutung im Kampf gegen die Uiguren im 9. Jahrhundert als wichtiger Identitätsstifter Kirgisistans gedeutet.     

Das zeigt sich sogleich im dahinter liegenden Nationalmuseum, einem prächtigen Bau mit moderner, aber zugleich etwas wilder Präsentation der kirgisischen (Kultur)Geschichte. Beeindruckend sind die schönen Gegenstände der Nomadenkultur. Interessant ist, dass der jüngere Zeitraum kirgisischer Geschichte als Bestandteil der Sowjetunion realistisch und anerkennend gewürdigt wird, ohne dabei einen kritischen Blick zu verlieren, insbesondere im Hinblick auf die negativen Folgen für das Nomadentum. Es wird auch historisch klar zwischen dem russischen Zarenreich und der Sowjetunion unterschieden. Etwas holprig wirkt die museale Suche nach den Ursprüngen der kirgisischen Nation und ihrer Staatlichkeit, da die kirgisische Tradition und Geschichte nunmal nomadisch und durch traditionelle Stämme geprägt ist. Erst durch die sowjetische Modernisierung der Gesellschaft  und die von oben bestimmten Grenzziehungen zwischen Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan ab den 1920er Jahren entstanden die weitgehend bis heute gültigen Staatsgrenzen.

Bischkek ist eine moderne Stadt, in der man gut Zeit verbringen, Tee oder Kaffee trinken und gut essen kann, in einer Art zentralasiatischer Crossover-Küche mit Einflüssen aus der ganzen Welt. Besonders war auch der Besuch der wunderschönen Oper der Stadt zu einem kleinen Kammerkonzert. Bei der Besichtung des Platzes des Sieges mit der Statue einer Frau, die auf die Rückkehr ihres Mannes wartet, sprach uns ein Mann in deutscher Sprache an. Er heißt Timur, ist Deutsch-Lehrer,  lebt mit seiner Familie in Bischkek und lud uns sogleich auf einen Tee in seine Wohnung ein. So verbrachten wir mit ihm und seiner in Moskau studierenden Tochter zwei spannende Stunden, in denen wir uns bei leckerem Gebäck und viel Tee mit Zitrone über unsere Lebenswelten austauschten. Über diese freundliche und spontane  Offenherzigkeit, die wir von zuhause nicht kennen, haben wir uns sehr gefreut. Um kirgisisches Großstadtleben kennenzulernen, lohnt sich auch ein Besuch im Kaufhaus ZUM (ЦУМ). Es hat zwar – ähnlich wie bei uns – nicht mehr den Charme vergangener Kaufhauskultur, bietet aber dennoch auf vier Etagen eine interessante Mischung kirgisischer Konsumkultur. Kaum verwunderlich, dass die untere Eingangsetage voll ist von Handy-Shops aller Art, mit und ohne Reperaturservice, auch hier ist das Mobiltelefon das Konsumprodukt erster Wahl. Das ganze Haus besteht aus vielen einzelnen Läden, die jeweils nach Sparten organisiert sind. Eine Kunsthandwerkabteilung im 4. Stock kann sich ebenfalls sehen lassen. Das Zentrum der Stadt ist kompakt, die meisten Sehenswürdigkeiten, einschließlich des 2010 umkämpften Präsidentenpalastes befinden sich an der Chuy-Avenue. 
In der Stadt trafen wir erneut Oskar und Ursula aus Österreich, nunmehr zum vierten Mal in Zentralasien, so dass wir jetzt mit Fug und Recht von echten Overlander-Freunden sprechen können.

Zum Abschluß des Bischkek-Besuchs und auch als Abschied von Kirgisistan ging es dann nochmal für zwei Tage in den stadtnahen Ala-Artscha-Nationalpark, um in den Bergen zu campen und ein bisschen zu wandern. Dabei trafen wir die ersten Overlander aus Deutschland, mutig mit Wohnmobil ohne 4×4 unterwegs, die beim Wildcampen unsere freundlichen Nachbarn waren. Susann und Steve haben sich eine längere Auszeit aus ihrer stressigen Arbeitswelt genommen, reisen nun solange das Geld reicht und in aller Ruhe durch (Zentral)Asien. Aus den Bergen in Bischkek ging es dann zur Nahe gelegenen Grenze nach Kasachstan in die wohl größte Metropole Zentralasiens: Almaty, das frühere Alma Ata.

Kommentar

  • Inge und Wilfrid

    Städte sind anstrengend, zumal solche mit Bauten und Kunstwerken aus totalitären Zeiträumen. Das menschliche Maß mit seinen Korrekturmöglichkeiten fehlt, es ist dem Willen einer Ideologie unterworfen.
    Die Gletscherwasserkühlung war schon vor fünfhundert Jahren ein Exportschlager. Als Timur den Norden Indiens eroberte, da brachte er auch seine Baumeister mit. Die Viadukte sind längst zu Staub zerfallen, aber die kühlenden Wasserläufe sind heute noch in den Palastmuseen in Delhi, Lahore oder Agra zu bewundern. Allerdings nicht in schnödem Granit, sondern in weißem Marmor.
    Das aber waren andere Zeiten, und Ihr erobert, für Euch und uns, die Welt mit staunenden Augen neu.

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