Das Ata Bejit Memorial als Gedächtnis Kirgisistans
Bishkek ist umgeben von Bergen, schnell ist man im Gebirge. Im Süden der Stadt befindet sich die Gedenkstätte Ata Bejit auf etwa 1700 m Höhe. Es ist bestimmt keine Übertreibung, diese mächtige, gewissermaßen treppenförmige Anlage als das Gedächtnis Kirgistans zu bezeichnen, auch wenn es sicherlich historische Gedächtnislücken gibt. Das Gelände ist militärisch gesichert, man fährt durch eine Schranke, der Wagen wird kontrolliert und die drei jungen Soldaten haben dann vor uns salutiert. Sie waren erstaunt hier Deutsche anzutreffen, wir waren irritiert und überrascht.

Das Gelände ist riesig und bietet bei 35 Grad kaum Schatten. Der Ursprung dieser Gedenkstätte geht auf das Jahr 1991 zurück, als man anfing dort die Leichen von 137 Personen zu exhumieren. Sie wurden an dieser Stelle im Rahmen Stalin’scher „Säuberungen“ erschossen – es handelte sich überwiegend um vermeintlich abtrünnige Kader der kirgisischen Kommunistischen Partei, die meisten hochrangige Funktionäre und Aktivisten der Partei. Ihnen gilt das Gedenken in einem Teil, alle werden hier einzeln erwähnt und geehrt, wobei viele schon in der post-stalinistischen Ära der späten 1950er-Jahre rehabilitiert wurden – leider zu spät. Es gibt hier auch ein kleines Museum, in dem man die Biographien vieler der Ermordeten kennenlernen kann. Wir hatten Glück, dass wir uns einer kleinen Führung anschließen konnten und von einer krigisischen Frau einige englische Übersetzungen bekamen.








Im Laufe der Jahre kamen dann weitere Gedenkstätten an diesem Ort dazu: Ein Gedenken an 1916, als viele Kirgisen sich an einem zentralasiatischen Aufstand gegen das russische Zarenreich beteiligten, ausgelöst durch die Einberufung zum russischen Militär im 1. Weltkrieg. Viele Kirgisen (und Kasachen) flohen nach China, bei den Kämpfen gab es wohl weit über 100.000 Opfer.


2008 wurde dann der bereits erwähnte kirgisische Schriftsteller Aitmatov hier beigesetzt, sein testamentarischer Wunsch, denn sein Vater war einer der 137 im Jahr 1938 Erschossenen. Das Grab ist sehr würdevoll und entsprechend der großen Bedeutung Aitmatovs gestaltet, ohne dass das Ganze im Pomp ausartet.




Ein drittes Gedenken gilt den Opfern der Demokratiekämpfe im Jahr 2010, als bei friedlichen und militanten Protesten in der Hauptstadt 87 Demonstranten umgekommen sind. Diese Kämpfe führten zum Rücktritt und zur Flucht vom Präsidenten Bakijew und in der Folge einigen politischen Liberalisierungen, ohne dass allerdings die grundsätzlich autoritäre Verfasstheit des politischen Systems Kirgisistans ins Wanken geriet.
Nicht erwähnt in der Gedenkstätte sind die kirgisischen Pogrome gegen Usbeken 1990 und 2010 in der zweitgrößten kirgisischen Stadt Osch, bei denen hunderte Menschen getötet und tausende vertrieben wurden.






Inge und Wilfrid
Gedenkstätten sind oft auch Stätten des Grauens, und nicht gerade touristische Anlaufpunkte mit Glitzerfassaden. Ihr wollt aber der jüngeren Geschichte eines Staates offensichtlich nicht ausweichen, auch nicht bei 35°C, und da ist das Salutieren der Wache eine Ehrenbezeugung an Euch. Diese „Säuberungen“, im Großen Terror der dreißiger Jahre sind sicher eine stetig schwärende Wunde einer Nation. Das zeigt ja auch die zeitige Errichtung der Gedenkstätte nach dem Untergang der SU. Es wäre Russland als Kernland der ehemaligen Sowjetunion zu wünschen, dieses Geschwür in seiner Gesellschaft zu erkennen, und Gedenken nicht zu unterdrücken (Memorial) oder, in Nachfolge des Gulag, Menschen verschwinden zu lassen.
Ist die Bronze-Plastik als aufgeschlagenes Buch vielleicht eine Abbildung zweier Seiten aus einem Manuskript von D. Aitmatov? Das wäre eine sehr würdige Darstellung.
Aber nun ab in die kühlen Berge mit entspannter Atmosphäre.