Zentralasien

Resümee – Einige Gedanken zum Ganzen der Reise

Fünf Monate unterwegs zu sein, das ist kein Urlaub es ist eine Reise. Nach etwa einem Monat war zu spüren, dass wir wirklich „weg“ sind. Das ist ein Gefühl, das einerseits etwas Angst macht, andererseits aber auch befreit. Die Probleme zu Hause sind (jedenfalls ganz weitgehend) nicht mehr im Vordergrund präsent, entscheidend ist das Leben im hier und jetzt. Erst jetzt wird es möglich, sich wirklich einzulassen ohne zu vergleichen und zu bewerten, was anders als zu Hause ist. In diesem Sinne zeigen sich tatsächlich erweiterte Horizonte. Eine bedeutende Erfahrung war es auch, dass das unterwegs-und-weit-weg-Sein, die eigene Offenheit fördert, gewissermaßen die eigene Denkblase durchstößt. Wir haben beide festgestellt, dass wir uns auf Leute und Denkweisen eingelassen haben, die wir zu Hause vermutlich ignoriert oder abgewiesen hätten. Das mag daran liegen, dass man in der Ferne einfach durch die Angewiesenheit toleranter sein muss. Nichtsdestotrotz entstehen dadurch Kontakte, die es sonst nicht gäbe und die zeigen, dass sich ein Einlassen trotz vermuteter Unpässlichkeit als durchaus bereichernd erweisen kann. Man verliert nämlich nichts, gewinnt dafür aber einiges dazu.

Reisen in Zentralasien, gerade im Stil mit Auto und Dachzelt, bedeutet aber nicht nur Freiheit, sondern auch Anstrengung. Das Fahren und Navigieren sind sehr anspruchsvoll, auch wenn man stets dazu lernt und Stück für Stück professioneller wird. Da ist die Hitze, da ist der Staub, da ist der gewöhnungsbedürftige Verkehr, da sind Offroad-Pisten, die bei falscher Bewältigung das technische Ende der Reise bedeuten können. Zudem gilt es einen Weg zu finden, das Verhalten der Menschen im Verkehr, aber auch überhaupt zu deuten. Dann die elementaren Fragen: Haben wir genug Wasser und Sprit? Wo übernachten wir heute, reicht das Geld oder müssen wir weiteres Bargeld besorgen? Wo ist der nächste Bankomat? Wo die nächste Tankstelle? Haben wir alles für die Grenze vorbereitet? Das klingt banal, aber wird mit der Länge der Zeit schon ziemlich anstrengend, zumal die Region eben durch viele Grenzen, unterschiedliche Währungen, Sprachen und Gepflogenheiten geprägt ist. Die Selbstbestimmung einer solchen Reise ohne einen Veranstalter, der etwas organisiert, schafft Raum für Spontanitäten und tolle unerwartete Erlebnisse, ist aber auch aufreibend und anstrengend. Diese Spannung macht den eigentlichen Reiz einer solchen Reise aus.

Unser Fahrzeug, ein Mitsubishi Pajero, 4×4 Diesel-Fahrzeug von 2018 mit Geländeübersetzung, hat alles super gemeistert, ob Strecke, schwere Offroadpisten oder 4000m Höhe, der Wagen hat ausgezeichnet funktioniert. Das Fahrzeug ist semiprofessionell als Dreisitzer ausgebaut, mit Schubladen für Klamotten und zwei Kisten für Werkzeug, Ersatzteile, Nahrungsmittel und Sonstiges. Dazu ist ein unabdingbarer 32-l-Kühlschrank verbaut, sowie ein flexibles Solarpanel und ein recht großer Akku zur Stromversorgung an Bord. Der Wagen verfügt über einen stabilen Unterbodenschutz und ein australisches Fahrwerk für gute Stabilität auf der Straße und im Gelände. Es sind lediglich ein paar Sicherungen durchgeknallt und unser selbst verbauter 50-l-Frischwassertank brauchte eine neue Pumpe, die wir zum Glück dabei hatten und selbst montieren konnten (einmal die fest verbaute Kofferraumkonstruktion komplett aus- und wieder einbauen: Puuuhhh). Dazu eine Inspektion mit Ölwechsel bei einem Mitsubishi-Händler in Almaty/Kasachstan. Kein platter Reifen, kein Achsschaden , wir hatten Glück, die meisten anderen Overlander, die wir getroffen haben, hatten doch hier und da ein Malheur.
Das Leben im Wagen und Dachzelt ist ein Leben auf sehr engem Raum, einerseits extrem flexibel, weil man wirklich fast überall hinkommt, andererseits stellt es aber auch große Anforderungen an die Selbstorganisation und das „Konfliktmanagement“. Bei schlechtem Wetter wie Regen, Wind, Kälte, aber auch bei großer Hitze ist ein Dachzelt als einziger Rückzugsraum ohne unmittelbare Versorgungsmöglichkeiten über so einen langen Zeitraum schon etwas spartanisch, so dass wir uns dann Unterkünfte in Hotels oder Guesthouses gesucht haben. Auch in den Städten haben wir aufs Dachzeltcampen verzichtet und uns entsprechende Unterkünfte gesucht. Das ist in Zentralasien, aber auch beim Transit durch Russland kostengünstig zu bewältigen.

In Zentralasien zu reisen ist eigentlich für Europäer nicht schwer. Vieles im alltäglichen Leben ist merkwürdig ähnlich und doch sind die Länder sehr unterschiedlich zu unseren Lebenswelten. Da fällt die häufig anzutreffende Großzügigkeit von Menschen auf, die sich das aus unserer Sicht eigentlich nicht leisten können sowie das selten Neidvolle. Schön war auch das Interesse an uns als Reisende, mit Fragen, wo wir herkommen und warum wir uns eine solche Reise zumuten. Die Menschen nahmen sich die Zeit zu kommunizieren, auch wenn sie diese eigentlich nicht hatten. Die gerade aus deutscher Sicht etwas chaotische/unverbindliche Alltagsorganisation schafft genau diesen Raum für das Unvorhersehbare. Es ist leicht, sich zu versorgen, auch wenn mal kein Laden in der Nähe ist, für das Nötigste, etwa Wasser, gibt es fast immer Optionen. Wasser ist ein zentrales Gut in Zentralasien, auf das jede und jeder Anspruch hat, es ist ein absolut existentielles Gut. Sollte es politische Versuche geben, dies zu privatisieren, wird es mit Sicherheit schwere gesellschaftliche Kämpfe darum geben.

Alle Länder Zentralasiens sind ganz wesentlich islamisch geprägt, davon zeugen nicht nur neue und historische Moscheen, sondern auch die Alltagskultur. Es war überraschend zu sehen, in welcher Vielfalt islamische Lebenswelten existieren, die uns fast immer freundlich, im schlechtesten Fall neutral begegneten. Wir hatten in keinem Fall feindliche Begegnungen, wie sie Muslime in der westlichen Welt häufig erfahren. Ein Beispiel: Wir waren auf der Durchreise im Südosten Kasachstans in einem kleinen Städtchen und suchten einen Platz, wo wir was essen können. Wir parkten dann vor einer Moschee, und improvisierten am Straßenrand unsere etwas spartanische Mahlzeit. Als die Gläubigen nach dem Gebet aus der Moschee gingen, kam ein Mann auf uns zu, begrüßte uns und machte deutlich, dass wir mit dem Essen warten sollten. Ein paar Minuten später kam er mit einer riesigen Portion Fleisch und Gemüse und verabschiedete sich herzlich.
Natürlich gibt es in Zentralasien auch islamistische Fundamentalisten, es ist der Schrecken aller politischen Eliten dort, dass Taliban und IS in dieser Region Einfluss gewinnen. Das merkt man an der Grenzsicherung der tadschikischen und der usbekischen Regierung. Aber wir haben sehr wenig fundamentalistisch-islamische Kultur wahrgenommen, dagegen sehr viel Offenheit und Herzlichkeit. Besonders überraschend auf unserer Reise waren die im Pamir verbreiteten Ismaeliten (geistiges Oberhaupt ist der britische Imam und Milliardär Aga Khan der IV), die auf einem modernen Geschlechterbild fußen und viel für die soziale Entwicklung der Gesellschaft tun.

Eine Reise durch Zentralasien ist ein Farb- und Formenflash. Stoffe, Teppiche, Straßenbeleuchtung, alles ist bunt und doch nicht grell. Die Ornamentik (z.B. auf den Teppichen oder Wandbehängen in den Jurten) ist einmalig, auch wenn sich die Bedeutung nicht immer erschließt oder vielleicht auch keine hat, sondern einfach nur schön ist. Besonders überwältigend sind natürlich auch die Blautöne der Mosaike in den großen Hauptmoscheen bzw. Medresen, v.a. in Usbekistan. Nicht zu vergessen das Essen. Ja, das Essen ist traditionell fleischlastig (Schaschlik ist das Fleischgericht) , aber die Esskultur ist in deutlicher Bewegung. Zunächst einmal ist die Fleischqualität in der Regel wesentlich besser als in Europa, da zumindest für Rind und Schaf/Lamm (sowie für Pferd) gilt, dass es kaum Massentierhaltung gibt. Die Küche ist durch den Iran, die Türkei, Korea und vor allen Dingen durch Georgien beeinflusst, das schon in der Sowjetunion als Produzent kulinarischer Hochgenüsse galt. Das Gemüse, das auf den Basaren zu kaufen ist, hat eine super Qualität und ist ein Hochgenuss, gerade wenn man sich sonst vornehmlich mit holländischer oder spanischer Gewächshausware ernährt. Traurig ist, dass in ganz Zentralasien das Fastfood auf dem Vormarsch ist, teils in US-amerikanischen Varianten, teils mit eigenen nationalen Fastfoodketten, die durchaus eine akzeptable Qualität haben können.

Das Pamirgebirge und der damit verbundene Highway waren ein besonderes Erlebnis der Reise. Schon die Anreise von der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe ist besonders, auch wenn diese aufgrund der Länge und der zum Teil sehr schwierigen Staubpiste (umso mehr, weil hier massiv gebaut wird) sehr anstrengend ist. So fährt man über weite Strecken entlang der afghanischen Grenze, denn beide Länder sind hier nur durch den Fluss Pandsch getrennt. Das gilt erstrecht, wenn man im Pamir selbst die südliche Route wählt und durch den Wakhan-Korridor (auf etwa 2000m Höhe) fährt, der in weiten Teilen einer grünen Oase inmitten der riesigen Pamir-Gebirgskette gleicht. Und immer wieder ist Afghanistan im Blick, man sieht Häuser und Menschen, die Armut ist zum Greifen nah. Die Taliban zeigen sich an der Grenze nicht, dafür sieht man sehr viel tadschikisches Militär zur Grenzsicherung und zur Bekämpfung des Drogenschmuggels (ob das tatsächlich klappt oder eine Sache des Preises ist, sei mal dahingestellt). Die Natur ist einmalig und man begegnet sehr wenig Menschen, vor allem wenn auf über 4000m die Luft dünn wird. Dennoch gibt es selbst auf dieser Höhe, die das Leben extrem beschwerlich macht, eine eigentümliche Normalität und Gelassenheit der Menschen, deren Zentrum die Kleinststadt Murgab mit 7500 Einwohnern ist. Da wir aufgrund der Grenzstreitigkeiten nicht direkt nach Kirgisistan fahren konnten, mussten wir die Strecke auf tadschikischer Seite zurück in Richtung Westen und waren froh, dass unter 3000m wieder Leben ohne Extreme zu sehen war.

Nicht minder beeindruckend waren dann die Naturschätze Kirgisistans, deren Mischung aus Hochgebirge, Wasser, unendlich saftigem Grün mit großen Pferde-, Rinder- und Schafherden. In diesem Land spürt man das Nomadentum als großes kulturelles Erbe und es war eine Ehre sich hier frei und ohne Reglementierung als Teilzeit-Nomade bewegen zu dürfen. Was für eine Freiheit! Dieses Land hat eine Ursprünglichkeit, die ahnen lässt, wie es ist, im Einklang mit der Natur zu sein. Auch das Wasser vor allem der große Issykköl und der besonders hoch gelegene Songköl sind Naturschätze der besonderen Art, insbesondere weil sie bisher nicht übernutzt sind. In Kirgisistan kommt das Gefühl auf, dass die (traditionell lebenden) Menschen mit der Natur leben, indem sie diese nutzen, sich aber sich auch durch das eigene Verhalten und eine Art Selbstbeschränkung an Grenzen halten. Ausnahmen sind vielleicht die gigantischen Goldminen von ausländischen Unternehmen, die diesen Kreislauf zerstören, aber eben auch viel Geld ins Land bringen.

Die Weite Kasachstans ist für uns Westeuropäer unvorstellbar, zumal das Land recht dünn besiedelt ist. Immer wieder begegneten wir freilaufenden Pferdehrerden und im Westen auch viele Kamelen, deren Eigentümer ihre Tiere immer wieder einsammeln mussten. Hier lernt man etwas über Entfernung und reflektiert die eigene Bequemlichkeit, wenn es darum geht, Freunde zu besuchen, die vielleicht 20km entfernt leben. Und man lernt: Steppe ist nicht gleich Steppe, es gibt Grassteppe, es gibt Hochsteppe, es gibt sehr viele Sandtöne und es gibt einige Wüstenformen. Endlose Weite, zwischen grenzenloser Freiheit und stupider Langweile. Sand- und Steinformationen, die wie eine Kulisse im „Herr der Ringe“ wirken und die im Sonnenlicht zu jeder Stunde andere Eindrücke hervorbringen. Der Scharyn-Canyon hat Größen- und Farb-Dimensionen, die ohne es gesehen zu haben, kaum vorstellbar sind. Dazu kommt der Osten Kasachstans, der wie der zentrale Süden unerwartet viel Grün, Gebirgszüge und Wasser bereithält. Schroffer als in Kirgisistan, aber kaum berührte Natur in Hülle und Fülle. Dabei war der Markakol an der chinesischen Grenze in seiner Unberührtheit nochmal ein echter Natur-Höhepunkt der Reise.

Usbekistan ist zweifelsohne das kulturelle Highlight in Zentralasien, auch wenn das Land mehrheitlich aus Steppe und Wüste besteht. Die im Westen gelegene Oasenstadt Nukus mit ihrem herrlichen Museum zentralasiatischer Malerei war ebenso ein Höhepunkt der Reise wie die weltbekannten historischen Seidenstraßenstädte Chiva, Buchara und Samarkand, die trotz der großen touristischen Ströme ein wahrer Genuss sind, wenn man sich vor Ort eigenständig bewegt. Sie sind wunderbare Zeitzeugen einer frühen handelspolitischen Hochkultur und sie versetzen die Menschen auch heute noch in staunende Verzauberung. In der Nationen-Findung Usbekistans wird auf diese Kultur und die besondere Bedeutung des Landes in der ersten Globalisierung (also weit vor den Schiffen der Hanse, der Venezianer, der Spanier und Portugiesen) mit Nachdruck und zurecht verwiesen. Und so versucht das Land sehr selbstbewusst einen Platz auch in der globalisierten Welt im Heute und Jetzt zu gewinnen – in diesem Sinne: Glück auf!

Mit dem Wort Demut ist historisch, vor allem im religiösen Feld, viel Unfug getrieben worden. Aber Deutschland oder besser die deutsche Kultur der Besserwisserei und der Selbstüberschätzung täte gut daran, diese Länder, ihrer Geschichte und ihren Traditionen mit mehr Demut und Respekt gegenüber zu treten. Zentralasien allein als Rohstofflieferanten und Absatzmarkt für deutsche Produkte oder als Spielbälle der Geopolitik zu betrachten, wird da ganz sicher nicht reichen.

Kommentar

  • Julia

    Eure Schlussworte gefallen mir! Sie bringen mich zum Nachdenken darüber, weshalb die Länder Zentralasiens bisher weitestgehend außerhalb meines Bewusstseins lagen…

  • Inge und Wilfrid

    Ja, ein herzliches „Glück auf“, dem Glück-auf aus meiner Kindheit aus dem Pott, tief empfunden von ganzem Herzen. Aber nun an Euch, Billie und Ralf, zur wirklich gelungenen Reise, die Ihr mit Mut und Zuversicht kurz nach Ostern begonnen habt. Der erste Monat war sicher noch unter höchster Anstrengung, und dann habt ihr Euch eingelassen voller positiver Neugier auf jeden Tag und die Menschen, deren Nähe Ihr so oft genießen konntet.
    Im letzten Absatz sprecht ihr von Demut und Respekt gegenüber anderen Nationen, die uns allen manches Mal gut stehen würde; ein gutes Resümee für eine so mutige und Respekt einflößende Reise.
    In diesem Sinne, danke für die Zeilen! Glück auf!

  • Christa

    Eine sehr eindrucksvolle Beschreibung. Ich sehe die Länder vor mir..,,
    LG Christa

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